OH BOY!
Text: Jan Zeller
Foto: Alexander Münch
Veit Schmidleitner kümmert sich wenig um Kategorien. Ganz gleich ob in der stilistischen Einordnung seiner Kunst – oder in der Frage, ob Lack auf Metall nur was für Autos sei. Ein UNIKAT-Besuch.
In der Physik verordnet man – vereinfacht gesagt – ein Quant (von lateinisch quantum, »wie groß«, »wie viele«) als ein Objekt, das durch einen Zustandswechsel in einem System mit bestimmten Werten und Größen erzeugt wird. Veit arbeitet gerade in seinem Studio, das er Quantum Oddity getauft hat. Anfang 2016 wurde es eigens für die Arbeit mit Lack fertig gestellt. Das Wort Odddity (Kuriosität, Eigentümlichkeit) ist David Bowies`s Song »Space Oddity« entliehen. Wir nehmen Platz auf der schwarzen 1970er-Jahre Ledercouch, die vor seiner Bungalowgroßen, hochmodernen Lackierkabine steht.
»Hier sitze ich allein, denke nach und höre meine Musik«, beschreibt Veit ruhig. Schaut ins weite Rund der Halle, er hat Kaffee gemacht. Im rechten vor uns liegenden Eck der Durchgang zu seiner Werksgalerie, die allein schon über 200 m2 misst. Über uns die acht Meter hohe Decke. Außen Gewerbegebiet Ludwigshafen-Maudach, innen viel Licht, viel Ruhe. Auf dem grauen Boden ein paar Schritte entfernt liegt eine aktuelle Arbeit von ihm in Neon-Gelb und Schwarz. Dann sagt er etwas auf eine Art, die einen unweigerlich berührt, wenn man mit Veit spricht. Fast scheint sie einer dialektischen Methodik zu folgen und ein Sinnbild dafür zu sein, wie Veit sich vielen Dingen emotional nähert: »Boy, mein Studio ist meine Kathedrale.« Pause. »Aber es ist auch eine Fußfessel.« Doch bleibt seine Stimme dabei warm und positiv.
Etwas später stehen wir stumm vor einem seiner Gemälde. Geometrische schwarz-lackierte Panels, auf einer Ebene innerhalb eines großen Rechtecks zueinander angeordnet. Mal glänzend, mal matt. Versehen mit Tausenden kleiner weißer Punkte, erscheint fast »pollockesk« ein nächtliches Firmament. »Eigentlich nur ein Muster. Wahrscheinlich aber das Nativste, das der Mensch kennt«, sagt er am Ende.
»Boy, mein Studio ist meine Kathedrale. Aber es ist auch eine Fußfessel.«
Veits Kindheit, seine turbulente Schulzeit, die schweren Phasen im Leben wie mit Mitte 20, seine Gefühle und Visionen: Sie sind seine Kunst geworden. »Ich kann jedes meiner Gemälde einem ganz spezifischen Zeitraum zuordnen«, so der 34-Jährige. Wir stehen inmitten weißer Wände und mannshoher, oft dichromatischer Lackflächen, vor schweren Metallplatten mit gezackten Formen, Diagonalen und Kanten. Aber nichts davon wirkt kalt oder abweisend, sondern warm und tief. Als ob man Bowies` Major Tom, den fiktiven Raumfahrer, singen hört: »Ich glaube, mein Raumschiff weiß den Weg.« Veit erschafft mit Lack auf Metall großformatige Gemälde. Lasert Edelstahl- und Alu-Panels, unterteilt sie in Segmente. Arrangiert die Schnitte mit kleinsten Metall-Stegen, so dass neben der Gesamtimpression immer auch Einzeleindrücke entstehen. Addiert und lackiert in oft tagelangen Schleifen Schicht für Schicht auf, spart dann oft partiell wieder aus oder trägt ab – nur, um eine noch tiefere Ebene oder neue Farbwirkung zum Vorschein zu bringen. Diesen Vorgang finde man in der japanischen Tradition des »Urushi«, jenes Lackkunsthandwerks, welches »eine maßgebliche Säule in meiner Praxis ist«, so Veit. Seine letzte große Solo-Schau hieß »Neo Urushi«: eine Neuinterpretation dieser rund 6000 Jahre alten Verarbeitungstechnik. Bereits mit elf Jahren begann Veit, sich für Lack zu begeistern. Wurde Airbrush-Artist, bevor er nach seiner Schulzeit eine Ausbildung zum Lackierer machte. Im Jahr 2008 schloss er diese als Jahrgangsbester ab und ging nach Spanien an die Uni, um Grafikdesign zu studieren. Was blieb, war seine Leidenschaft für Lack, dem so komplizierten Werkstoff. Auch deshalb gibt es kaum Künstler, die mit diesem arbeiten. Mit der Farbforschungsabteilung der BASF steht er in enger Verbindung, testet und verwendet immer wieder neue Produkte. Veit eint mit Künstlern wie Jeff Koons oder Anish Kapoor das Ziel, eine möglichst glasähnliche Oberfläche zu erzeugen. Anders ist sein gestalterischer Ansatz: über das Objekt hinaus hin zum Gemälde. In London gewann er dafür im Jahr 2018 den LCA Art Price für Gegenwartskunst. »Ich mache Malerei, keine Effekte«, so der Ludwigshafener. Wir reden über Ted Lawson, dessen Arbeiten er intensiv verfolgt, über die doppelmoralische Beurteilung dessen Skulptur »Julia (2017)«. Er schwärmt von seinem ersten Treffen mit Martin Basher, von dem er ein großer Bewunderer ist. Wie es während Veits letztem New York-Aufenthalts in dessen Studio sofort künstlerisch wie menschlich Klick machte. Erwähnt Jason K. Brown, seinen guten Freund und Kollegen, der über zehn Jahre für Koons gearbeitet hat. Brown, dem Veit in dessen Hallen bei Alchemy Paintworks seine erste kleine Ausstellung in Brooklyn verdankt, gilt als einer der besten Fine Art Finisher weltweit. Die Beziehung des Künstlers zu seinem Werk: da entstehe, so Veit, oftmals auch »eine Art der Melancholie«. Vor Jahren war er in der Tate Modern, saß im gedimmten Licht lange im Raum Nr. 3. Vor sich die »Seagram Murals« von Mark Rothko in Rot, Rost und dunklen Erdtönen. »Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich gerne jetzt allein damit wäre.« Als er dann aufstand und ging, sei es fast wie ein inneres Loslassen gewesen. Von Rothko, dessen Flächen im Farbwechsel, dessen Spiel mit Vorder- und Hintergrund, Realität und Unbewusstem. Es gibt nicht wenige namhafte Stimmen in der Kunstszene, die Veit karrieretechnisch den Sprung zu einer großen Galerie oder in eine der Kunstmetropolen der Welt nahelegen und problemlos zutrauen. Es wäre in Referenz zum Namen seines Studios in der Tat ein Zustandswechsel eines Objekts in einem System. Veit erzählt von einem Erlebnis, dass er vor ein paar Jahren hatte: »Weißt du, ich stand da so, im Leben, im Raum – und suchte. Und dann malst du einfach. Und plötzlich kommt so ein Gemälde zu dir und sagt: Hey, nice. Du bist auch noch da!« Er schaut mir durch seine runden Brillengläser direkt in die Augen. Wir schweigen. Ein Quantum Major Tom: je weiter sich der Mensch entfernt von der Erde, desto fremder wird er sich selbst. Oder – er findet sich und Großes. Hey Boy, flieg weiter!
»Ich mache Malerei, keine Effekte.«
Was ihn bewegt, es würde klein ausgeschrieben auf eine Briefmarke oder in großen Buchstaben gedruckt auf „Das Kalte Herz“ passen, eine seiner meterhohen Skulpturen aus Cortenstahl: Heimat. Beides würde man dem international erfolgreichen Offenburger Künstler zutrauen. Für wen oder was schlägt dieses überdimensionale Herz, wen würde er mit einem derart frankierten Brief erreichen wollen? Ein Gespräch über seine Kunst und über die Heimat in seiner Kunst.
Maske tragen und durchlässig sein ist kein Widerspruch. Dem Star-DJ gelingt das in seiner Musik wie auch als Privatperson. Millionen Fans feiern ihn dafür.
Mehr »Mut zur Wut« rät einer der besten internationalen Grafikdesigner unserer Zeit. Was er an mutigen Plakaten schätzt – lest selbst!
Groß und gertenschlank, riesige Augen, so gar kein »Jerk«. Ihr Mienenspiel kennt feinste Nuancen und lässt vieles zwischen den Zeilen erahnen.
Warum Kalligraphie Kunst und weit mehr als »Schönschreibung« ist erklärt uns Frank Fath, Kalligraph der Stadt Mannheim, im Interview.