Boris Brejcha.
Text: Jan Zeller
Foto: Florian Schmitt
Er spricht unaufgeregt, wirkt geerdet. Hatten wir Vorurteile kultiviert? Uns einen international gefeierten Star-DJ etwa anders vorgestellt – mehr Over the Top, mehr Laut?
Wir treffen Boris Brejcha bei sich zu Hause. »Auf dem Land«, wie er sagt – in der Pfalz, hinter Grünstadt, wo die Straßen schmaler werden. Sitzen mit ihm auf der Terrasse hinter seinem Haus. Geboren wurde Boris in Ludwigshafen am Rhein, ist dort groß geworden. Vor vier Jahren zog er aufs Land. Rund 300 Einwohner − und er, der Musiker und Produzent mit der venezianischen Joker-Maske.
Im Jahr 2006 veröffentlichte er seine ersten Tracks, bereits im Jahr darauf kam mit seinem Auftritt auf dem Universo Parallelo Festival in Brasilien vor allem in Südamerika der Durchbruch. Boris mag keine Schubladen, wenn es um seine Musik geht. Seinen Stil beschreibt er als »High-Tech Minimal«, als einen Mix aus allen Genres der elektronischen Musik: von Minimal über Techno bis hin zu sphärischen melodiösen Passagen. Boris komponiert seine eigenen Sets, spielt seine eigenproduzierte Musik. »Wenn die Leute schon extra auf ein Konzert von mir kommen, dann möchte ich für sie auch meine Lieder spielen. Das können sie auch erwarten. Jeder Künstler sollte, meiner Meinung nach, seine eigene Musik schreiben, weil es ihn ja am Ende auch ausmacht.« Darauf legt er auch Wert bei seinem eigenen Label Fckng Serious.
Es ging stetig bergauf bei ihm. Wegweisend für den heutigen weltweiten Erfolg des Pfälzers war dann ein Auftritt im Jahr 2017 vor der malerischen Kulisse von Schloss Fontainebleau südlich von Paris. Das dazugehörige, immerhin fast zweistündige Video auf YouTube wurde bis heute allein 26 Millionen Mal aufgerufen. Zu seinem Set auf dem renommierten Tomorrowland Festival ein Jahr später die gleichen, hohen Klickzahlen. Boris ist gerne auf der Bühne. »Der Fokus liegt 100 Prozent auf dir, mit den Lichtern, der Maske, es ist dunkel.« Dort ganz alleine vor den tanzenden Fans zu stehen sei manchmal schon »strange, ist aber auch cool«. Letzten Sommer waren er und sein Team auf Club-Tour in Nordamerika, in Metropolen wie Los Angeles, Miami, Chicago oder Toronto. Und dann wieder mal Pfalz, für ein paar Tage. Heimatbesuch. Ein wenig Zeit, für sich, für eine Runde Squash oder ein Glas Wein mit Freunden und für seine Eltern.
Auf Instagram und seinem YouTube-Kanal folgt ihm seine Fanbase, bekommt eigens produzierte Fotos und Videos zu seinen Reisen rund um den Globus. Man kann ihm visuell nahekommen, dem Menschen Boris. Abseits wie inmitten der Hallen, Clubs und Festivals. Sieht und hört ihn mal staunend Downtown im Neonlicht auf Kreuzungen, mal lachend am Strand in der Abendsonne oder auch mal sympathisch verschlafen früh morgens aus dem Hotelbett kraxeln. Meist irgendwo mit dabei ist Boris` Markenzeichen: Die Joker-Maske.
Es fällt leicht, ihm gerne zuzuhören. Ein Satz aus einem seiner früheren Interviews, man solle nie vergessen, wo man herkomme, könnte schnell auch ins Klischeehafte abgleiten: beim 38-Jährigen wirkt er authentisch und ehrlich. Mit dem Begriff »Star« habe er seine Probleme, obgleich er im Line-up der großen Festivals weltweit als eben dieser geführt wird und vor Zehntausenden von Fans auflegt. Brejcha verzichtet bei seiner Musik bewusst weitestgehend auf Gesang. »Durch Singen«, sagt er, »kann die Musik super schnell kommerziell werden.« Charts-Erfolge und musikalische Nähe zum Mainstream können in der Szene auch schnell mal Fans vergraulen. Seine letzten drei Singles sind bei einem New Yorker Major-Label erschienen, das schon David Guetta, Calvin Harris oder Kygo in die Radiostationen gepusht hat. Es ist ein schmaler Grat, dessen ist sich Boris selbstreflektierend bewusst: »Mein Manager findet aber, ich kriege das ganz gut hin, die Balance zwischen Underground und kommerziell sein.« Vielleicht hängt es auch mit seiner eigenen Lebensgeschichte und mit der Maske, die er trägt, zusammen, dass Brejcha eine gute Distanz zu haben scheint zum Star sein. »Kinder sind ehrlich«, wird er uns etwas später im Verlauf der Schilderungen zu seiner Kindheit sagen. Was fast lapidar klingend daherkommt, war jedoch nicht nur biografisch für Boris` Weg zur Musik von Bedeutung. Seine Aussage spiegelt in ihrer klaren Einordnung des Geschehenen auch den Menschen Boris Brejcha wider.
Im August 1988 verfolgten der damals 6-Jährige und seine Familie eine große Flugschau auf der Air Base in Ramstein, bis der Absturz dreier Maschinen einer italienischen Kunstflugstaffel in einer Katastrophe endete und 70 Todesopfer forderte. Eines der Flugzeuge rutschte brennend in die Zuschauer, Wrackteile fielen vom Himmel. Es gab fast 1000 Verletzte, Boris und seine Schwester überlebten mit schweren Verbrennungen. Boris sitzt uns gegenüber. Die Narben in seinem Gesicht, auf seinen Armen, sie geben nur eine leise Vorstellung von der Tragweite jener Ereignisse, über die er offen und mit ruhiger Stimme spricht. Wie es war, als er nach einem halben Jahr im Krankenhaus wieder in die Schule ging, gehänselt wurde, weil seine Haut noch so fein und wund war, dass sie von einer undurchsichtigen Maske permanent geschützt werden musste. »Ich habe mich damals erstmal zurückgezogen und irgendetwas gesucht, womit ich mich beschäftigen kann. So bin ich dazu gekommen, Schlagzeug zu spielen, später dann Keyboard. So bin ich überhaupt zur Musik gekommen. Es war quasi Glück im Unglück. Musik als Therapie, Musik als Medizin. »Gut, dass es mir passiert ist. Sonst wäre ich, glaube ich, heute kein Musiker.«
Er geht mit diesem Teil seiner Vergangenheit nicht hausieren. Auch die Joker-Maske trägt er nicht aufgrund seiner Narben, sondern weil »ich den Joker cool fand, denn beim Kartenspielen ist der Joker immer der Letzte, das letzte Ass im Ärmel.« Passt irgendwie: lieber etwas Understatement, kontrolliert und individuell im positiven Sinne, auch mal selbstironisch. Er produziert allein, ohne Bandkollegen, möchte sich nicht arrangieren müssen. Seine Musik entsteht zu 99 Prozent am PC. Das einzig externe sind Mikrofon und Stimme.
Boris erzählt, dass er zu Hause am liebsten in seinem Studio sei, an neuen Songs arbeite. Dort finde er die richtige Akustik. Parallel zu UNIKAT No 4 erscheint sein mittlerweile neuntes Album: »Space Diver«. Im Video zur Vorab-Single »Gravity« erkennt man Brückenpfeiler und Betontrassen seiner Heimatstadt. »Nach dem Release ist erstmal Ruhe. Dann geht`s bis Ende März ins Studio«, sagt Boris. Er freue sich aufs Produzieren. Erst für die Time Warp Anfang April in Mannheim plant er dann wieder seine Maske aufzusetzen. Er schaut sich kurz um, fragt in die Runde, ob er noch nachschenken soll. Was wir nicht gefunden haben bei Boris war: eine Maske.