Same. Different.

Florian und Daniel Ferino

Text: Marcel Heinen

Foto: UNIKAT

Zum Verwechseln ähnlich und doch grundverschieden: Daniel und Florian Ferino sind eineiige Zwillinge, die in zwei verschiedenen Welten leben. Einer wurde in der Heimat ein gefragter Graffiti-Künstler, der andere tourt mit Promis um die Welt. Der eine ist Familienvater, der andere lebt mit seinem Freund in Berlin. Geblieben ist jedoch die Verbundenheit miteinander. Ihre Kindheit verbrachten die Zwillinge in Osthofen bei Worms, gingen in dieselbe Klasse, auf dieselbe Schule, mit denselben Freunden. Ab dem 16. Lebensjahr entwickelten sie sich unterschiedlich. Daniel machte eine Ausbildung zum Fahrzeuglackierer und arbeitete sich in einem Ingelheimer Maschinenbau-Unternehmen zum stellvertretenden Werkstattleiter hoch. Im Jahr 2018 hat er sein Hobby zum Beruf gemacht. Seither arbeitet er selbstständig als Graffiti-Künstler. Heute lebt er in der kleinen Ortsgemeinde Eich nahe Worms, ist verheiratet und zweifacher Vater. Florian stattdessen ließ seiner Friseurausbildung den Umzug ins große Berlin folgen und avancierte dort zum bekannten Hair und Make-up Artist. Er lebt mit Partner Sven in einer Altbauwohnung in Prenzlauer Berg. Jobbedingt ist Flo allerdings für nationale wie internationale Fotoproduktionen, Werbedrehs oder Events unterwegs, betreut Promis wie Veronica Ferres, Vanessa Mai, Stefanie Giesinger oder Valentina Pahde. Offen und ehrlich verraten beide, wie das ist, wenn es einen doppelt gibt. 

Lebt man als Zwilling doppelt schön oder doppelt schwer? 

Daniel: Schwer zu sagen. Wir haben ja keinen Vergleich! (lacht) Florian: Doppelt schön! Wir konnten schon immer alles teilen, Spielsachen, Klamotten, Schuhe, einfach alles. Klar gab es auch mal Streit, aber das ist bei Geschwistern ja normal. 

 

Was ist eure beste Verwechslungsgeschichte? 

Florian: Wenn wir nebeneinanderstehen, beobachte ich oft, wie die Blicke der Leute ständig zwischen mir und Daniel hin- und herspringen und regelrecht nach Unterschieden bzw. Gemeinsamkeiten gesucht wird. Allerdings sind das immer Personen, die uns nicht wirklich kennen. Freunde hören den Unterschied sogar am Telefon. Ich kann jedoch die Gesichtserkennung von Daniels iPhone austricksen und ohne Probleme sein Handy entsperren! 

Daniel: Da wir so oft verwechselt wurden, haben wir uns irgendwann gesagt: Lass uns einfach immer zurückgrüßen! Auf dem Backfischfest letztes Jahr in Worms traf ich einen Bekannten und dessen Freund, den ich nicht kannte. Wir redeten bestimmt 20 Minuten über alles Mögliche. So als kenne man sich schon ewig. Irgendwann erwähnte ich meine Tochter. Er schaute mich verblüfft an. Dann sagte er, er fände das toll und mutig, ein Kind zusammen mit einem Mann zu adoptieren. Erst da wurde mir klar. dass er die ganze Zeit dachte, mit Flo zu reden (lacht)! 

 

Verleitet das einen nicht? 

Florian: Nein, nicht wirklich. 

Höchstens dahingehend, dass ich mir schon mal Daniels Perso oder Führerschein ausgeliehen habe, wenn ich meinen gerade nicht gefunden habe. 

Daniel: Als Flo seinen Rollerführerschein hatte, habe ich mir den früher öfters geschnappt, um durch die Gegend zu fahren. 

 

Spürt ihr zwischen euch jene tiefe Verbindung, die vielen Zwillingen attestiert wird? 

Daniel: Ich denke, das ist nicht viel anders als bei normalen Geschwistern. Wenn man zusammen groß wird und einander gut kennt, weiß man einfach immer, was Sache ist, im Guten wie im Schlechten. Man merkt, wenn etwas nicht stimmt. Ich muss dazu sagen, dass wir auch viel telefonieren und uns die Meinung des anderen immer sehr wichtig ist. Ich kann Flo immer um Rat fragen, egal bei was. Seine Meinung bedeutet mir sehr viel! 

 

Und wann habt ihr gemerkt, dass ihr doch auch sehr unterschiedlich seid?

Daniel: Dass wir nicht gleich sind, nur weil wir gleich aussehen, habe ich schon sehr früh festgestellt. Schon als kleine Kinder hatten wir bei allen Gemeinsamkeiten viele unterschiedliche Interessen. 

Florian: Für mich war es sehr schwierig, mir erst einmal selbst einzugestehen, dass ich schwul bin. Ich hatte praktisch den größten Kampf mit mir selbst. Meine größte Blockade war die Angst, verstoßen, beleidigt oder angefeindet zu werden. Ein Outing ist generell schwierig, gerade wenn man vom Dorf kommt, das Thema nie wirklich angesprochen wurde und ich gefühlt der einzige war, der anders war. Zu diesem Zeitpunkt war ich 17 und hatte gerade meine erste richtige Freundin. Ich mochte sie wirklich gerne und war auch schon ein bisschen verknallt in sie. Aber ich habe gemerkt, dass ich nicht viel mit ihr anfangen konnte und ich Jungs irgendwie anziehender fand. 

 

Wie hat eure Umgebung darauf reagiert? 

Florian: Daniel war einer der ersten, dem ich damals sagte, dass ich einen Freund habe. Ich hatte wahnsinnige Angst vor seiner Reaktion. Aber er hat sich gefreut und wollte sofort alles wissen. Das hat mir Mut gemacht, es auch den Eltern und Freunden zu sagen. Eigentlich war es für niemanden ein Problem. Im Gegenteil, alle haben sich für mich gefreut, dass ich diesen Schritt endlich getan habe, da sie es eigentlich schon geahnt hatten. Mein Vater meinte: »Daniel wurde vom Storch gebracht und Florian vom Flamingo.« Den Menschen, die mir und denen ich wichtig bin, war egal, ob ich eine Freundin oder einen Freund habe. Leute, die damit nicht klarkommen, sind dann halt nicht meine Freunde. Das ist mir dann egal. Schließlich muss ich selbst glücklich sein und möchte mein Leben so leben, wie ich es will – und nicht, wie andere es gerne hätten oder von mir erwarten. 

Daniel: So richtig überrascht hat mich Flos Outing nicht. Ich hatte bis dahin ja auch schon ein paar Beziehungen und war bereits ein Jahr mit meiner jetzigen Frau zusammen. Flo hatte komischerweise immer nur „beste Freundinnen“ – und das konnte ja schlecht am Aussehen liegen (lacht)! Deswegen hatte ich so etwas schon länger geahnt, wollte ihn aber nicht unter Druck setzen oder nachfragen. 

»Unser Vater sagte: Daniel wurde vom Storch gebracht und Florian vom Flamingo!«

Eure beiden beruflichen Wege haben viel mit Kreativität zu tun…

Daniel: Ja. Schon in der Schule war Kunst mein absolutes Lieblingsfach. Auch in anderen Fächern habe ich ständig Buchstaben und Zeichen auf Hausaufgabenhefte und Stiftmäppchen gemalt, erst auf meine eigenen, später auf die der halben Klasse. Eigentlich wurde ich von anderen dazu gebracht, das Ganze zum Beruf zu machen: erst den Partykeller beim Kumpel – für eine Kiste Bier und die Farben als Bezahlung. Dann kam das Garagentor vom Kollegen des besten Kumpels und immer so weiter. Als die erste Firma anfragte und eine Rechnung haben wollte, ging ich zur Stadtverwaltung und meldete ein Gewerbe an.

Florian: Ich hatte in der Schule in den gestalterischen Fächern am meisten Spaß: Kunst, Werken, Technisches Zeichnen. In den anderen Fächern habe ich immer auf meinem Block herum gemalt oder auf Zeitschriften die Gesichter »optimiert«. Mir war eigentlich schon immer klar, dass ich etwas Kreatives machen wollte.

 

Daniel, wie hast Du Dich künstlerisch dann weiterentwickelt?

Daniel: Das kam eigentlich von selbst mit jedem neuen Motiv. Die absoluten Highlights sind sicher meine Graffitis beim 1. FC Kaiserslautern, Caterpillar Oldtimerwerkstätten, Pollenlagen oder auf einigen teuren Autos. Aber auch Kinderzimmer und Workshops machen mir riesigen Spaß. Denn kein Lob ist so ehrlich wie das Lachen und Staunen von Kinderaugen.

 

Florian, Dein beruflicher Werdegang waren nicht ganz unkompliziert …

Florian: Nach Realschule und Fachabitur in Gestaltung wollte ich gern etwas Handwerkliches und etwas mit Menschen machen. Make-up Artist fand ich total spannend. Aber es war gar nicht so einfach, mich über die Ausbildung zu informieren, ohne die Online-Optionen von heute. Die Berufsberatung beim Arbeitsamt war mir keine Hilfe. Also schrieb ich die Theater in der Umgebung an. Der Chef-Maskenbildner am Nationaltheater Mannheim nahm sich schließlich die Zeit und riet mir, zuerst eine Friseurausbildung zu machen und mir anschließend Make-up anzueignen: entweder über eine private Make-up-Schule oder durch das Assistieren bei anderen Make-up Artists. Das tat ich. Nach der Friseurausbildung arbeitete ich vier Jahre in diesem Beruf und sparte für die Make-up-Schule. Meine Wahl fiel auf eine Schule in Berlin. Nach drei Monaten Make-up-Grundkurs arbeitete ich anfangs drei Tage die Woche als Friseur und versuchte, mir daneben durch unbezahlte Shootings ein Portfolio aufzubauen. So lernte ich immer mehr Leute in der Branche kennen, assistierte anderen Make-up Artists. Diese Kontakte brachten mir nach und nach bezahlte Jobs ein. Nach etwa zwei Jahren in Berlin wurde ich von einer Agentur aufgenommen, kündigte meinen Friseuranstellung und arbeite seitdem selbstständig als Hair und Make-up Artist.

 

Was ist Dein Erfolgsrezept?

Florian: Jedem, der irgendwie mehr will oder unzufrieden ist, kann ich nur raten, etwas zu ändern und zu versuchen, sein Ziel zu erreichen: Mach Pläne, wie Du glücklicher werden kannst. Erfolg kommt nicht von allein. Man muss etwas dafür tun. Dazu gehört in erster Linie der Wille, sich aus der eigenen Komfortzone herauszubewegen, etwas zu riskieren und etwas Neues zu wagen. Der erste Schritt ist immer der schwierigste. Aber worauf warten? Es klopft keiner an der Tür und sagt »Bitteschön. Hier ist alles, was du gerne hättest«!

Ich habe lange gebraucht, um über meinen Schatten zu springen. Man muss schon gewisse Dinge aufgeben und aus dem sicheren Nest raus. Rückschläge und Misserfolge gehören einfach dazu, daran wächst man. Aber wenn man es nicht versucht, weiß man nie, ob es geklappt hätte. Eigentlich kann man auch nicht tief fallen, denn einen Weg zurück gibt es zur Not immer.

 

Wie ist es jetzt in Berlin für Dich?

Florian: Hätte mir früher jemand gesagt: ‚Du wirst in Berlin leben‘ – ich hätte ihm den Vogel gezeigt. (lacht) Zu der Zeit damals mochte ich Berlin gar nicht: zu groß, zu laut, zu schmutzig und zu anonym. Doch mir wurde andererseits schnell klar, dass ich in eine Großstadt gehen muss, wenn ich diesen Beruf ausüben möchte. Von meiner Familie und Freunden wegzuziehen ist mir sehr schwergefallen.

Das erste Jahr war hart. Nach der ersten Euphorie kamen Selbstzweifel und Heimweh. Ich fand zwar schnell Anschluss, fühlte mich aber oft allein. Man lernt in Berlin sehr schnell neue Leute kennen. Alle sind sehr offen und kontaktfreudig, doch das beschränkt sich meist nur auf Party-Bekanntschaften. Tiefgründige Freundschaften aufzubauen, auf die man sich auch verlassen kann, ist sehr schwierig. Auch beruflich ging es nicht so voran, wie ich mir das vorgestellt hatte, und es gestaltete sich sehr schwierig, in der Branche Fuß zu fassen. Einmal musste ich mir auch Geld bei meinem Bruder leihen. In dieser Zeit überlegte ich oft, wieder zurück nach Worms zu gehen. Wenigstens ein Jahr wollte ich aber durchziehen. Heute bin ich froh, dass ich das gemacht habe. Denn auf einmal lief es besser, nach und nach habe ich Berlin lieben gelernt. Spätestens, als ich meinen jetzigen Freund Sven kennengelernt habe, fühlte ich mich auch privat angekommen. Er hat mich bei allem sehr unterstützt und mich immer wieder motiviert, weiterzumachen. Heute fühle ich mich in Berlin zuhause, habe tolle Freunde gefunden, liebe meinen Job und schätze die Vorzüge der Großstadt. Der Kontakt zu engen Freunden und der Familie ist immer geblieben, gleichwohl es natürlich schade ist, dass ich beispielsweise die Kinder meines Bruders oder mein Patenkind nicht in dem Maß aufwachsen sehe, wie ich es gerne würde. Ich genieße es jedes Mal, wenn ich in meiner alten Heimat bin und freue mich, wenn mich „die alte Heimat“ in Berlin besuchen kommt.

 

Wie war das damals für Dich, Daniel, als Dein Bruder wegzog?

Daniel: Ich habe natürlich gehofft, dass er nach seiner Visagisten-Schule wieder zurückkommt. Aber auch mir war klar, dass Berlin für diesen Beruf der perfekte Ort ist: leider – aus meiner damaligen persönlichen Perspektive heraus. Als seine Entscheidung aber dann feststand, dass er nach Berlin zieht, habe ich keinen Gedanken daran verschwendet, ihn davon abzubringen oder es ihm auszureden. Ich habe ihm Mut gemacht, weil ich genau wusste, was ihn gleichzeitig dieser Schritt auch erstmal menschlich kosten würde. Damals, nach der Schule, haben ihn viele dafür belächelt, dass er eine Friseurausbildung gemacht hat. Gerade deswegen macht es mich so stolz, was er sich ganz allein(!) dann in so kurzer Zeit in Berlin aufgebaut hat. Sein Mut und seine Zielstrebigkeit haben sich schlussendlich ausgezahlt. Jetzt bewundern ihn Menschen dafür, auch manche derer, die damals noch skeptisch waren. Für mich war gerade das erste Jahr ohne ihn schon komisch. Beim Bier lief mir da schon mal ein Tränchen über die Wange. Aber Angst, unsere Verbindung zu verlieren hatte ich nie.

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