Schwerelos.

Text: Ute Spangenberger

Foto: Elmar Witt

Die Anekdote, die über Heidemarie Stefanyshyn-Piper gerne erzählt wird, kann als schönes Beispiel für mediale Zuspitzung dienen: die Frau, die ihre Tasche im Weltall verlor. Doch die eigentliche Geschichte der Frau mit den markant blauen Augen wurde oftmals nicht erzählt – um der Pointe willen.

Heidemaries handbag – das war aber auch eine hübsche Schlagzeile! Einfach, prägnant. Da entstehen sofort Bilder im Kopf. All(es) drin. Frau und Tasche. Ein echter Glücksgriff. Jetzt mag das schon einige Jahre zurückliegen, zwölf Jahre ganz genau. Die Tasche, sie verglühte dann letztlich auch nach achteinhalb Monaten Weltraumausflug irgendwo westlich von Mexiko beim Eintritt in die Erdatmosphäre. Ja, es »versendet« sich, es gibt ja täglich Neues. Humor darf und soll ein erlaubtes Mittel sein, im All und auf diesem Planeten. 

Und dennoch könnte die Geschichte davon berichten, dass eben bei jenem Außenbordeinsatz im Jahr 2008 auf der Internationalen
Raumstation ISS ihre Reparaturarbeiten an dem defekten Sonnensegel rund 65 Millionen US-Dollar an Kosten einsparten. Dass ihr, der Ingenieurin mit zwei Abschlüssen der Elite-Uni MIT, beim Säubern ihres Werkzeugs die Tasche entglitt. Aber nicht durch »weibliche Schusseligkeit«, was in manche damalige Schlagzeile mit etwas chauvinistischem Willen hineinzuinterpretieren war. Sie musste den Inhalt der Tasche notgedrungen reinigen, aufgrund einer darin sich befindlichen defekten Schmierfettpistole. Kaum Stress, in exakt 408 Kilometer Höhe, nur an einem Sicherungsgurt frei über der Erde schwebend. Die Geschichte könnte auch berücksichtigen, was bereits zwei Jahre zuvor – im Rahmen Heidemaries` erster Weltraummission – bei einem mehrstündigen gemeinsamen Außenbordeinsatz ihrem männlichen Kollegen Joseph Tanner passierte: nämlich, dass ihm beim Fixen, Austauschen und Erneuern im luftleeren Raum als »Spacewalker« Bolzen, Metallfeder und Dichtung davongeflogen waren.
All das könnte Teil ihrer Geschichte sein. Von Heidemarie, die eigentlich Marinepilotin werden wollte, aber den Augentest nicht bestand. Die stattdessen nach ihrem Maschinenbaustudium für eine Dekade bei der US-Navy als Tauch- und Bergungsoffizier arbeitete – Kriegsschiffe reparierte, vor Peru an der Bergung eines U-Bootes beteiligt war und im Alter von 26 Jahren vor der Küste Hawaiis dabei half, einen auf Grund gelaufenen Öltanker freizubekommen. Im Jahr 1996 schaffte sie es in das knallharte zweijährige Grundausbildungsprogramm des NASA Johnson Space Centers – als eine von nur 35 Kandidaten unter fast 2500 Anwärtern. Sie habe herausgefunden, dass die NASA zu der Zeit nicht nach Piloten suche, sondern eben auf technische Abschlüsse achtete. »Ich dachte: Ich kann ein Schiff Unterwasser bauen, also müsste ich doch auch ein (Raum-) Schiff im Weltall reparieren können«, so beschrieb sie es mal in einem TV-Interview. Zu Besuch in Europas größter Weltraumausstellung »Apollo und Beyond« im Technik Museum Speyer hielt die heute 57-Jährige einen Vortrag: charmant, klug, ­motivierend. Nach Speyer hatte sie Gerhard Daum, ­Initiator der Raumfahrt-Ausstellung, eingeladen.

»Wenn du ins All hochgeschossen wirst, sitzt du auf der Abschussrampe mit Feststoff-Booster und hast flüssigen Sauerstoff, flüssigem Wasserstoff in den Hauptantrieben.«

Frau Stefanyshyn-Piper, ziemlich genau ein Jahr nachdem Sie ihren ersten Einsatzbefehl für einen Weltraumflug erhalten hatten, explodierte 2003 das Space Shuttle »Columbus« hoch über Texas. Alle sieben Besatzungsmitglieder starben damals. Rückblickend, war es gefährlicher, Militär-Taucherin oder -Astronautin zu sein?
Ganz klar, Astronautin zu sein war gefährlicher. Allein schon wegen der Umgebung, in der du arbeitest. Wenn du ins All hochgeschossen wirst, sitzt du auf der Abschussrampe mit Feststoff-Booster und hast flüssigen Sauerstoff, flüssigem Wasserstoff in den Hauptantrieben. Und wenn du dann oben bist, dann darf auch nicht viel schief gehen.

 

Sie haben Ihre Studienzeit, Ihr ganzes Berufsleben in einem eher von Männern dominierten Umfeld verbracht. Wie war das für Sie?
Das stimmt. Aber da ich nie viel mit Frauen gearbeitet habe, kann ich dazu vergleichend schlecht was sagen. Aber ja, mit Männern zu arbeiten war manchmal schon speziell. Klar gab es mal Scherze wie: »Oh, da ist eine Frau da, wir müssen aufpassen, was wir jetzt sagen.«

 

US-Präsident Trump hat ja angekündigt, dass er die erste bemannte Mondmission seit der Apollo 17 im Jahr 1973 innerhalb der nächsten Jahre anstrebt. Zum ersten Mal soll dann auch eine Frau die Mondoberfläche betreten …
Ja, das Programm „Artemis“. Aus der griechischen Mythologie erinnert man sich an Apollo, dessen Sonnenfahrt der Namensgebung des ersten NASA-Weltraumprogramms diente. Aber Apollo hatte eine Zwillingsschwester namens Artemis, die Mondgöttin. Sie wählten den Namen „Artemis“, um auf den Mond zurückzukehren. Die NASA hofft, dass bei dieser Mission im Jahr 2024 ein Besatzungsmitglied eine Frau sein wird.

 

Die Mission in ihren Phasen und Zielsetzungen klingt insgesamt sehr ehrgeizig. Klappt das bis 2024?
Meiner Erfahrung nach dauert bei Raumfahrtprogrammen -alles etwas länger. Damals zu Apollo-Zeiten: 1961 hatte der damalige Präsident Kennedy angekündigt, zum Mond zu fliegen. Und dann hat es noch bis 1969 gedauert. Vielleicht sagen Sie jetzt: Nun wart ihr doch schon da oben, dann ist es doch nicht mehr so schwer, oder? Aber wir haben jetzt völlig neue Technik, das braucht seine Zeit. Es wäre fantastisch, wenn das klappt.

 

Ihrer US-Raumfahrkollegin Sunita Williams flog mal eine Kamera davon ins Weltall, Ihren Kollegen Sellers und Fossum ein 35 Zentimeter langer Spachtel. Mit Ihrer Erfahrung aus damals bereits zwei Außenbordeinsätzen von rund zwölf Stunden: Hatten Sie kurz daran gedacht, Ihrer Tasche hinterher zu springen?
Du willst wirklich nicht am Ende einer 25-Meter-Leine hängen und dich wieder reinziehen, das wäre übel. Du springst auch nicht los, stößt dann irgendwo an und trudelst herum. Also. nein. Du springst auf keinen Fall los, um etwas zu fangen. Aber ich habe kurz drüber nachgedacht, nur: Die hätten es sowieso mitbekommen, warum ich springe – also eine schlechte Idee.
Aus der NASA schied die Frau mit der imposanten Körperspannung, wenn sie spricht und erzählt, im Juli 2009 aus. Bis heute gibt es nur 24 Menschen, die lКnger als »Spacewalker« im freien Weltall unterwegs waren. Sie kehrte als Technische Direktorin zurück zur Navy, bevor sie vor etwas mehr als vier Jahren in den Ruhestand ging. Die Mutter eines erwachsenen Sohnes besucht viele Schulen und Universitäten, hält dort Vorträge vor jungen Kids oder angehenden Ingenieuren. Sie unterstützt Veranstaltungen, wo Forschung und Technik eine Plattform finden. Es sei ihr wichtig, »etwas weiterzugeben«. Davon gibt es bei Heidemarie eine ganze Menge.

Seltener Blick ins Innere des Space Shuttles: Buran bedeutet »Schneesturm«.

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